Wir haben alltägliche Situationen gesammelt und zu Papier gebracht. Mit einer Auswahl dieser Geschichten sind wir gemeinsam in die dichten, geheimnisvollen Wälder von Krauchthal und Bäriswil gezogen und haben uns in der Stille der Natur auf die Wörter eingelassen.
Erster Standort
Myriam Casanova: Am Fenster
Ach die Frauen mit den Hunden, die winken immer. Der ist nett, der Brunner. Der ist Makler. Dort drüben die Garagen, die gehören dem Rechtsanwalt und der Lehrerin, das sind vielleicht blöde Leut›. Da, die Frau von dem Mann, der vorher um die Ecke ist. Jetzt haben wir den Reeh wieder verpasst. Da kann der doch mal’n bisschen aufräumen dort drin. Dann hat er sein Auto, das hat er draussen stehen. Die kommen dann nochmal am Abend. Hörst du die Elstern? Und die Frau, die jetzt kommt, die arbeitet beim Roten Kreuz, die hat offenbar so Schichtdienst. Am Samstag ist ja das Strassenfest. Das ist der Blank, der uns da vollgelagert hat von der Schweiz. Aber die Frau, die sieht viel älter aus als er. Der geht auch nicht aufs Strassenfest. Die Frau Enders von der Dürerstrasse kommt nur. Die Familie, die gestern am Zaun gestanden hat und die Frau Enders. Das ist der Doktor. Pass mal uf, pass mal uf, der dreht sich wieder um und schaut, ob die Tür verschlossen ist. Die mit dem Dackel. Was macht der denn? Der hat was im Mund der Junge. Hat er den jetzt losgelassen? Die wohnt Nebendran. Jetzt seh ich grad, die hat die Garage gemietet. Die hat’n neues Auto. Kuck mal, was’n toller Schlitten. Die ist sehr nett, die ist aus Frankfurt. Und der ihr Freund fährt ’ne Harley – da ist wieder der Herr Brunner. Das ist der, der Freund. Ist das ’ne Harley? Ah ist die toll, sag das mal der Sabine. Das ist’n toller Typ!
Mara Perrez: Flecki das Kaninchen
Das Kaninchen Flecki bekommt zu fressen. Und auf einmal ist es weg – einfach weg, ganz weg! Wir suchen es überall. Ich bin sicher, es ist auf der Strasse… oder im Schlafzimmer, in der Dusche? Wir suchen und suchen bis spät in die Nacht hinein. Plötzlichbkratzt es! Es kommt aus dem Schlafzimmer. Da! In der hintersten Ecke ist das kleine freche Kaninchen!
Johannes Harth: Rezept aus dem NZZ Folio
Ein Huhn, das sich von alleine brät. Huhn mit Fenchel, Kartoffeln und Frühlingszwiebeln. Zutaten für 4 Personen: Etwas Olivenöl, 1 Huhn (1.5 kg schwer), Salz und Pfeffer, 2 Fenchelknollen (in 1 cm dicke Scheiben geschnitten), 7 mittelgrosse Kartoffeln (geschält und halbiert), 2 Bund Frühlingszwiebeln (geputzt, das Grün entfernt), 1 Zitrone. Suchen Sie sich einen netten Demeter-Hof, auf dem Hühner durchs Gras rennen, zahlen Sie 25 Franken, die so ein Huhn kostet. Ofen auf 210 Grad vorheizen. In einem Brüter Öl erhitzen. Huhn salzen und pfeffern, auch innen. Von allen Seiten anbraten, bis die Haut gebräunt ist. Das dauert ungefähr 15 Minuten. Haut nicht zerreissen. Das Huhn bereitstellen. Fenchel, Kartoffeln, und Frühlingszwiebeln im selben Topf in Öl anbraten. Salzen und pfeffern. Fünf Minuten lang unter Rühren anschwitzen, nicht anbrennen lassen. Huhn auf das Gemüse setzen, Topf in den Ofen stellen. 35 bis 45 Minuten lang ohne Deckel garen. Man braucht keine Flüssigkeit hinzuzufügen, das Huhn ist am Ende knusprig, das Gemüse leicht karamellisiert. Für die Garprobe schneidet man am Schenkel dort ein, wo das Gelenk sitzt. Ist der austretende Saft klar, ist das Huhn gar. Mit dem Gemüse und den Zitronenschnitzen servieren.
Mara Perrez: Der Traum
Träume sind schön, sie sind einfach wunderbar. Man kann über sie lachen, aber auch weinen. Ich hatte einen Alptraum. Alpträume sind schlimm. Sie machen mir Angst. Ich wache auf. Die Angst ist immer noch da, sie verschwindet langsam. In meinem Zimmer ist es dunkel, ich merke wie mich die Angst wieder umhüllt. Ich schlafen wieder ein. Der Alptraum fährt fort, ich kann nichts machen. Plötzlich höre ich eine Stimme. Sie sagt: Wach auf, wach auf! Ich schaue in die Augen meiner Mutter und bin erleichtert.
Markus Casanova: Happy New Year Kmers
Ich nutze die Zeit für Büroarbeiten. Um die Mittagszeit taucht die Besitzerfamilie unseres Hauses auf mit einer Wahrsagerin. Auf den Tisch wurden zwei Früchteschalen, ein geschlachtetes Huhn und ein Schweinekopf – mit einem Schwänzchen in der Schnauze – gestellt. Es wurden Kerzen und Räucherstäbchen angezündet, dann wurde zuerst stehend, dann kniend gebetet. Zwischendurch nahm der Besitzer das klingelnde Handy ab und übertönte mit seiner lauten Stimme die Gebete. Die Wahrsagerin redete offenbar alles Gute auf unser Haus herbei, sie vertrieb das Schlechte. Dann zottelten alle ab und eine Stunde später wurden die Waren auf dem Tisch wieder abgeholt.
Sabine Graeser: Beobachtungen
Wir sitzen in einem Park, ein Hund bellt, Kinder spielen mit ihren Puppen, eine Taube watschelt ganz selbstverständlich vorbei. Die Bank steht im Schatten. Ein Mann sitzt mir gegenüber und liest Zeitung. Menschen laufen und unterhalten sich. Das Getrappel der Schrittfolgen und die Krähen in der Ferne haben ihren ganz eigenen Rhythmus. Gedanken irren: Traktanden? Instrumente entwickeln? Visualisieren? Optimieren? Erfolg? Oder doch nicht. Anderes am gleichen Ort? Oder anderes anders? Es ist verwirrt, Es ist verstanden. Der Mann liest immer noch in der Zeitung. Was da wohl drin steht? Die Krähen krächzen, und Frauen mit skeptisch neugierigem Blick laufen mit ihren Kinderwagen vorbei. Anderes am gleichen Ort? Oder anderes anders?
Zweiter Standort
Mara Perrez: Wie wird man berühmt?
Wie wird man berühmt? Das weiss man nie so genau.Es kommt einfach, weil man seine Gabe weitergibt. So kommt man in seine Rolle hinein? So wird man berühmt. Aber nein, das ist doch nicht so einfach und irgendwann ist es meistens wieder vorbei. Die einen sind für immer berühmt, die anderen vergisst man schnell wieder. Möchte ich einmal berühmt werden?
Sabine Graeser: Dialog 2
Alles was ich beeinflussen kann, kann nicht das Sein selbst sein, denn sobald ich eine Veränderung wahrnehmen kann, heisst das, dass ich in beiden Zuständen bin, also ist das Sein in beiden Fällen gegeben. Das Sein muss also das sein, was unabhängig aller Veränderung und Bedingung ist. Es ist, wie wenn ein Fisch etwas aussagen soll über den Ozean, in dem er immer drin ist. Eine mögliche Annäherung ist es, in der Wahrnehmung auf alles zu verzichten, was veränderbar ist. Oder eine andere ist es, das wahrzunehmen, was in allem gleich ist. Viel spannender ist für mich die Frage, was die Aussage bedeutet, dass ich bin. Wer ist dieses Ich, das von sich behauptet (oder empfindet), zu sein? Wenn ich das Ich an irgendwelche Bedingungen oder Umstände knüpfe, ist es ein Widerspruch zu sagen, dass ich bin. Was ist also das Ich, ohne es an Bedingungen oder bestimmte Umstände zu knüpfen? Das ergibt faszinierende neue Möglichkeiten für das Leben, denn man muss seine Existenz nicht mehr an gewisse Bedingungen knüpfen, was eine enorme Freiheit darstellt.
Matto Kämpf: Waldgedanken
In einem Wald im Münstertal dachte eine vom Wanderweg abgekommene Thurgauerin bei Einbruch der Dunkelheit: Dass es den Tyrannosaurus Rex nicht mehr gibt, ist wissenschaftlich gesehen womöglich schade, praktisch aber sicher von Vorteil.
Sabine Graeser: Verschiedene Zustände
Ich bin beteiligt, höre zu, höre die Wörter, aber verstehe sie nicht. Ich bin anwesend und doch nicht beteiligt. Ich spreche und höre mich Wörter sagen, aber die Anderen verstehen sie nicht. Die maximized performance soll stimmen, eine Risikominimierung, das reporting fristgemäss fertigstellen, den scope of work definieren, und you never have problems, only issues, kaum Platz. Das Team oder das network zerbröckelt. Are you happy?
Dritter Standort
Haut nicht zerreissen. Ist das ’ne Harley? Hörst du die Elstern? Wach auf, wach auf! Anderes am gleichen Ort? So kommt man in seine Rolle hinein?
So? Gleich? Nicht. Elstern. Du? Harley.